Weihnachten

Donnerstag, 10. November 2011

Die Vase - Eine Parabel

knipseline  / pixelio.de


Ich habe eine Vase. Sie ist wunderschön und für mich sehr wertvoll. Ich freue mich an ihr, sehe sie an und bin stolz, Besitzer einer so beeindruckenden Vase zu sein. Ich zeige sie gerne, brüste mich mit ihr. Hege und pflege sie, in der Art und Weise, wie ich es für richtig halte. In meinen Augen hat diese Vase einen höheren Stellenwert als andere Vasen.

Darum hat sie einen hervorgehobenen Platz, mitten im Raum, auf einem schön verzierten Sockel. Da steht sie, erhoben über allem anderen Raumschmuck, im Mittelpunkt, alle Augen richten sich unweigerlich darauf. Wie ginge es auch anders, habe ich sie doch so unübersehbar in den Fokus gestellt.

Und so freue ich mich an meiner Vase und versuche, ihr gerecht zu werden. Ich achte darauf, dass kein Schatten auf sie fällt. Fasse sie nur mit Handschuhen an, damit sie keinen Makel davonträgt, kein unbeabsichtigter Fingerabdruck von mir ihrer Schönheit Abbruch tut. 

Ich ziehe einen Zaun um den Sockel, damit niemand ihr zu Nahe kommt. Will ihr Besitzen eigentlich nicht teilen. Ich will ihn allen zeigen, aber anderen keinen wirklichen Zugang zu ihr lassen.

So ist sie, meine Vase. So erfüllt sie mein Leben, soviel Raum habe ich ihr gegeben und anderes nicht mehr zur Geltung kommen lassen.

Die Vase kann nichts dafür, sie ist einfach nur. Ich bin es, die sie nicht für das genommen hat, zu dem sie geschaffen war: Mit Blumen, mit Leben mitten im Alltag gefüllt zu werden, um damit eine unendlich viel größere Freude zu schaffen! Sie auch dem dreckig werdenden Wasser aussetzen, der Gefahr, ihren Glanz einzubüßen.

Und dann …

Ohne es zu wollen ist es einfach passiert. Ich habe meine Vase von ihrem Sockel gestoßen. Ich dachte doch, ich wüßte, wie ich mit meiner Vase umgehen müsse. Vielleicht habe ich zu sehr auf sie gesehen, so dass ich nicht mehr auf meinen Gang achtete, ich stolperte und schlug dabei um mich.

Meine Vase - sie fiel einfach … und zerbarst in tausend Stücke.


Dieter Schütz  / pixelio.de

Erschrocken stehe ich da und denke, das ist gar nicht passiert. Der Sockel steht immer noch da, unversehrt. Bestimmt steht meine Vase noch immer da, ich kann sie nur nicht mehr sehen.

Unauffällig lege ich eine wunderschöne Decke über den Scherbenhaufen. Es gibt keinen Scherbenhaufen.

Und doch, wenn ich auf den Sockel sehe, erkenne ich die Leere. Der Sockel, den ich aufgestellt habe, er lacht mir höhnisch ins Gesicht. Er war nie geeignet, eine so schöne Vase zu tragen.

Immer wieder laufe ich an der Decke vorüber und versuche, es mir nicht anmerken zu lassen. Doch die Scherben klirren unter der Decke, sie lassen sich nicht einfach verstecken.

Also nehme ich die Decke zur Seite und versuche, die Scherben wieder zusammenzufügen. Mit Sekundenkleber setze ich die Teile zusammen, unter Tränen will ich dieses Puzzle lösen.

Das Ergebnis ist vernichtend. Beim genauen Betrachten der Scherben erkenne ich auch, dass die Vase eine ganz andere Farm und Form besitzt, als ich sie wahrgenommen habe. Die Farben glänzen nicht gleich, die Form ist nicht so ebenmäßig, wie ich sie gesehen habe.

Irritiert erkenne ich, nie wieder kann und wird diese Vase so wunderschön aussehen, wie vor ihrem Sturz. Ich habe ihre tatsächliche Form und Farbe wahrgenommen und niemals kann ich auch diese Klebespuren-Narben ungeschehen machen. Nie wieder werde ich diese Vase als das benutzen können, was sie eigentlich ist: Eine Vase, die gedacht ist, Blumen in sich zu tragen.

Mein Zerrbild einer Vase versuche ich wieder auf den Sockel zu stellen. Aber es geht nicht mehr, sie hat keinen festen Stand mehr. Also gebe ich mich geschlagen und werfe den Sockel weg.

Dann halte ich meine zerstörte Vase in den Armen und versuche zu verstehen, wie das geschehen konnte. Hatte ich denn nicht alles richtig gemacht?

Und mir wird klar, dass ich ganz und gar nichts richtig gemacht hatte. Ich habe diese Vase, die eine Bestimmung hatte, völlig zweckentfremdet. Ich habe sie benutzt, um mich an ihr zu freuen. Ganz eigennützig habe ich sie meinen Wünschen und Vorstellungen von ihr unterworfen. Ja, ich habe ein Bild von einer Vase entworfen und diese Vase als Abbild auf den Sockel gestellt.

Die Vase selbst war in ihrer Art wunderschön, so wie sie war. Ein Geschenk, mit dem ich nicht umgehen konnte.

Jetzt frage ich mich, ob es irgend eine Möglichkeit gibt, meine Vase wiederherzustellen?

Und mir wird unter Tränen klar, dass dies nicht geht ...


Ganz sanft klopft mir eine Hand auf die Schulter und schluchzend sehe ich auf. Vor mir steht der Glasbläser, und streckt mir seine Hände entgegen: Gib mir Deine Scherben, Kind! Es gibt keine andere Möglichkeit.

Also gebe ich meine Vase aus der Hand, lege sie in seine Hände und stelle mir vor, wie er sie einfach so wiederherstellt.


Erstaunt sehe ich, wie er die Scherben nimmt, sie in eine Schale legt und sie in seinem Feuerofen zum Schmelzen bringt. Nein, will ich schreien, nicht so!


zaubervogel  / pixelio.de

Heiß glüht es und ich spüre die Hitze und erlebe den Schmerz des Loslassens von etwas, das ich so liebgewonnen hatte.

Ich will meine Vase aus dem Feuerofen holen, will nicht, dass sie sich ganz und gar auflöst. Doch ich sehe mit an, wie sie vergeht, sanft hält mich der Glasbläser in seinen Armen.

Dann holt er meine geschmolzene Vase aus dem Ofen und gestaltet sie mit Schöpfungsatem und -händen völlig neu und wunderschön!

Viel schöner, als vorher und doch nicht so verletzlich und zart. Schlicht und stabil sieht sie aus, meine neue Vase. Sie hat etwas fundamentales, starkes. Sie sieht aus wie zerbrochen, geschmolzen und neu geschaffen. Von dem Einzigen, der dazu in der Lage ist!

Dann legt er mir die neue Vase in die Hände: Kind, sie ist da, um im Leben gebraucht zu werden. Sie sollte nicht auf einem Sockel stehen, fülle sie mit Leben und freue dich daran. Nicht die Vase selbst soll dir zur Freude sein.

Überglücklich empfange ich sie, meine neue Vase. Aus der alten hervorgegangen und doch völlig neu und auf eine ganz und gar andere Weise wunderschön.

Ich stelle sie mitten auf den Tisch, mitten im Leben, und fülle sie mit wunderschönen Blumen und freue mich an ihr. Wie sie immer wieder anders gefüllt werden kann, wie sie immer wieder neu, ihre Bestimmung zum Ausdruck bringen wird.

So, wie sie es als Vase in meinem Leben sollte.



Birgit Winter  / pixelio.de